Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan (2006)

Politische Satire unter dem Schatten von Holzhammer-Humor

Der kasachische Journalist Borat Sagdiyev (Sacha Baron Cohen) wird von seiner Regierung in die USA geschickt, um eine Dokumentation über die Gepflogenheiten des Landes zu drehen. Das Projekt soll die Entwicklung von Kasachstan vorantreiben. Mit seiner trotteligen und politisch unkorrekten Art erregt Borat indes den Unmut der Amerikaner. Zunehmend fühlt er sich einsam und missverstanden – bis er in einer Baywatch-Episode zufälligerweise Pamela Anderson in ihrer Rolle als vollbusige C. J. Parker erblickt. Für Borat ist es Liebe auf den ersten Blick. Er überzeugt seinen Produzenten Azamat (Ken Davitian), in einem Icecream-Truck von Washington nach Kalifornien zu reisen, um Pamela zu heiraten. Auf ihrer Reise hinterlassen die beiden eine Spur von Verwunderung, Aufregung und auch Hass.

Borat (2006) von Regisseur Larry Charles ist ein aussergewöhnlicher Film, der an der Grenze zwischen Realität und Fiktion die Möglichkeiten des Humors neu auslotet. Sacha Baron Cohen kann seine Comedy-Philosophie hier voll ausleben. Er schlüpft in die Rolle eines antisemitischen, nationalistischen, rassistischen und chauvinistischen Clowns, der dem zeitgenössischen Amerika einen Spiegel vor den Kopf hält. Im Gesicht des dümmlichen Borat spiegelt sich die Dummheit eines Teils der amerikanischen Bevölkerung. Mit sprachlicher Unzulänglichkeit und naiv-kindlichem Auftreten entlarvt Sacha Baron Cohen die Scheinheiligkeit und Überheblichkeit seiner Mitmenschen. Das ist nicht neu: Denselben Ansatz verfolgte Cohen schon mit seiner Kultfigur Ali G – ein ungebildeter Möchtegern-Gangster, der prominente Persönlichkeiten in scheinbar ernsten Interviews aufs Glatteis führt.

Mit Borat tritt uns dieser Ansatz in Form eines Langspielfilms entgegen. Gelungen ist das wesentlich besser als im Vorgängerfilm Ali G Indahouse (2002), der die realsatirische Spitzen mit einer dümmlichen Fiktion ersetzte. Allerdings wundert man sich auch bei Borat, ob die Form des Spielfilms die richtige ist. Denn sie lässt die Dramaturgie ordentlich holpern. Cohens Figuren schreien geradezu nach einer episodischen Struktur, die jeweils eine in sich geschlossene Szene zeigt. Um eine Geschichte zu erzählen, mischt der Regisseur Larry Charles gänzlich fiktive Szenen mit pseudorealistischen. Der ganze Plot um Pamela Anderson wirkt aufgesetzt und erzwungen, die »Moral von der Geschicht« geradezu klischiert, der anarchistischen Philosophie der Hauptfigur widerstreitend. Es wirkt, als versuche man hier einem platten Stereotyp Tiefe zu verleihen; das kann gar nicht funktionieren. Realismus und Fiktion stehen sich hier gegenseitig im Wege. Besser wäre es gewesen, man hätte auf die Geschichte fast gänzlich verzichtet und stattdessen auf Episoden gesetzt.

Die hanebüchenen Aussagen und Handlungen, die Borat aus seinen Gesprächspartnern kitzelt, sind gleichwohl entlarvend – und wahnsinnig witzig. Hier bilden Fremdscham-, Fäkal- und Schockhumor eine explosive Mischung. Die Erkenntnisse, die uns Borat liefert, sind indes nicht besonders überraschend. Dass die Zuschauer eines Rodeos wütend auf die Verballhornung der US-amerikanischen Hymne reagieren, ist ebenso klar wie die Empörung Bürgerlicher, wenn plötzlich eine Prostituierte auf der Türschwelle steht. Das ist eher intelligente Blödelei als politische Satire. Baron Cohen bedient hier ganz bewusst das Vorurteil des dummen Amerikaners, über das man sich – besonders in Europa – königlich amüsieren kann. Das hinterlässt einen faden Nachgeschmack.

Die besten Szenen sind jene, in denen sich Borat gar nicht besonders daneben benimmt und die Vorurteile wie von alleine zu Tage treten. In Erinnerung bleibt vor allem der Rodeo-Produzent Bobby Rowe, der sich nicht lange bitten lässt, für die Verfolgung von Homosexuellen einzustehen. Auch die Erweckungs-Szenen der United Pentecostal Church lassen einen kalt erschauern; dabei ist dieses Sequenz fast dokumentarisch. Manche Überzeugungen brauchen keinen Clown, um gruselig zu erscheinen. Das Gespräch mit den drei betrunkenen College-Studenten ist ebenfalls erschütternd; vor allem deshalb, weil Borat ausgerechnet bei offenen Rassisten und Chauvinisten Trost findet.

In der Geschichte der Filmkomödien hat sich Borat einen Ehrenplatz verdient. Um einen solchen Streifen zu produzieren, braucht man als Schauspieler eine gehörige Portion Mut und Aufsässigkeit. Das hat Sacha Baron Cohen – nur leider überschattet der plumpe Holzhammer-Humor die politische Satire. Und echte Einsichten bleiben auf der Strecke.

6/10

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The Irishman (2019)

Wenn Nostalgie über Innovation triumphiert

Die kriminelle Karriere des Fleischlieferanten Frank »The Irishman« Sheeran (Robert De Niro) verläuft ausserordentlich steil. Als er bei einer illegalen Lieferung an die Mafia erwischt wird, hilft ihm der Mob-Anwalt Bill Bufalino (Ray Romano) aus der Patsche. Sogleich nimmt ihn der Mafia-Boss Russell Bufalino (Joe Pesci) unter seine Fittiche. Sheeran steigt schnell zum Auftragsmörder Bufalinos auf. Mit der Zeit freundet sich Bufalino mit dem Gewerkschaftspräsidenten Jimmy Hoffa (Al Pacino) an. Gegen aussen gibt sich dieser idealistisch und vernünftig, doch auch er unterhält finanzielle Beziehungen zur Mafia. Nachdem Hoffa hopsgenommen wird und sich in einen Machtkampf mit anderen Gewerkschaftern verwickelt, wird er zum echten Problem für die Bufalinos. Ein Problem, das Sheeran lösen soll. Doch »The Irishman« hadert; denn eine tiefe Freundschaft verbindet ihn mit Hoffa.

Hallelujah, die Engel singen: Martin Scorsese inszeniert einen Mafia-Film mit Robert De Niro, Al Pacino und Joe Pesci. Mit The Irishman (2019) setzt uns Netflix ein Werk vor, das den Mund jedes Filmfans wässrig machen wird. Das alles klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Doch tatsächlich: Dieser Film ist beeindruckend, mitreissend, cool. Obwohl Scorsese das Leben des Mob-Kopfgeldjägers Sheeran in epischer Breite vor uns ausrollt, vergeht die Laufzeit von dreienhalb Stunden wie im Flug. Scorsese erfreut uns mit einem klassischen Ganster-Drama alter Schule – ohne viel Firlefanz, aber mit ordentlich Krawall und Gefühl. Das ist alles berechtigt und nett, stellenweise wirkt die Übungsanlage allerdings arg durchschaubar. Das Drehbuch von Steven Zaillian, basierend auf wahren Begebenheiten, erzählt eine zeitlose Geschichte von Freundschaft, Verbrechen und Verrat. Nur: Hatten wir das nicht schonmal? Der Gedanke, dass Scorsese im Gefolge von Netflix virtuos die Filmnostalgie der Zuschauer ausschlachtet, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Andererseits kann man mit gutem Recht einwenden: Wenn das so rockt wie hier, weshalb nicht?

The Irishman ist ein Schauspielfilm. Robert De Niro überstrahlt sie alle, sein Porträt des schweigsamen, naiv-treuen Bluthundes fesselt. Joe Pesci als Mafia-Boss darf für einmal die Stimme der Vernunft sein; eine Rolle, die ihm wunderbar zu Gesicht steht. Al Pacino als Hoffa darf sich als verrückter Chaot gebärden, schiesst aber manchmal übers Ziel hinaus. (Wie oft soll dieser Typ denn noch »Cocksuckers« sagen?) Stilistisch auffällig ist Scorsese hier selten, er erzählt seine Geschichte mit der Routine eines Meisters. Mit dem gezielten Einsatz von Slow-Motion, abrupten Musik-Schnitten und dem Übereinanderlegen verschiedener Personen bei derselben Tätigkeit vermag der Film Akzente zu setzen, ansonsten bleibt der Film angenehm unverkrampft. Scorsese schwebt wie ein sarkastischer, allwissender Erzähler über dem Geschehen, was dem Gezeigten manchmal auch die Intensität nimmt.

Ein besonderes Schmankerl ist die Szene, in der Sheerans Frau beim Drehen des Autoschlüssels innehält, da sie die Explosion des Autos fürchtet. Ein plötzlicher, unangenehmer Spannungsmoment, in dem Scorsese unglaubliches Timing beweist. Abgesehen davon sind die Frauen in diesem Film fast unsichtbar: Die Missstimmungen und Intrigen spielen sich einzig zwischen Männern ab, ihr dreckiger Job überschattet ihr Familien. Dennoch spielt eine Frau eine besondere Rolle: Peggy, eine der vier Töchter Sheerans. Sie ist die schweigsame, moralische Instanz der Geschichte, die ihren Vater fürchtet und heimlich verurteilt. Sozusagen das schlechte Gewissen, das Sheeran sträflich vernachlässigt und schliesslich unwiderruflich verliert.

Was The Irishman zudem über das typische Crime-Drama erhebt, ist der gesamte letzte Akt: In ihm zeigt Scorsese die pensionierten Verbrecher, schwach und gebrochen, wie sie noch nicht einmal im Angesicht des Todes ihre Sünden eingestehen können. Diese tristen, grauen Szenen an Sheerans Lebensende gehören ohne Zweifel zu den Höhepunkten des Filmjahres 2019. Der Aufbau zum eigentlichen Finale des Filmes – dem Verrat an Hoffa – ist Spannungskino par excellence. Die absurde Konversation der Auftragsmörder um einen Fisch auf dem Auto-Rücksitz könnte direkt aus einem Drehbuch von Quentin Tarantino stammen. Also auch für Humor ist in dieser tragischen Lebensgeschichte gesorgt.

The Irishman ist alles, was man sich von einem Film wie diesem erhoffen konnte – und vielleicht noch ein bisschen mehr. Trotzdem kann man Martin Scorsese vorwerfen, zu sehr auf Nostalgie und zu wenig auf Innovation zu setzen. Ein reichhaltiges und vielgestaltiges Werk ist The Irishman dennoch. Unbedingt im Kino und nicht auf Netflix anschauen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Dann aber genug Verpflegung mitnehmen. Wie gesagt: dreieinhalb Stunden.

8/10

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Spider-Man: Into the Spider-Verse (2018)

»Anyone can wear the mask.« Echt jetzt? Nein, ich nicht!

Um den Wünschen seines Vaters zu entsprechen, wechselt der Teenager Miles Morales (Stimme: Shameik Moore) in ein Internat in Brooklyn. Da Miles gerne sprayt und ein lockeres Leben führt, fühlt er sich in der steifen Schule fremd – bis er die mysteriöse Gwen Stacy (Stimme: Hailee Steinfeld) kennenlernt. Plötzlich aber wird sein Leben auf dem Kopf gestellt: Eine Spinne beisst ihn und verschafft ihm übernatürliche Fähigkeiten, die ihn zu Spiderman machen. Von einem Tag auf den nächsten wird von ihm erwartet, dass er die Rolle eines Helden einnimmt. Das ist umso schwieriger, als sein Mentor ein Peter Parker (Stimme: Jake Johnson) aus einer anderen Dimension  und lediglich eine abgehalfterte Version des »echten« Spidermans ist. Trotzdem muss er die Pläne des reichen Kingpin (Stimme: Liev Schreiber) möglichst schnell durchkreuzen. Ansonsten droht der Untergang gleich mehrerer Dimensionen.

Hat euch die Inhaltsangabe von Spider-Man: Into the Spider-Verse (2018) verwirrt zurückgelassen? Gut. Denn der Plot dieses Animationsfilmes ist tatsächlich arg konfus. Die Pointe ist, dass verschiedene Versionen von Spiderman gegen einen Ober-Bösewicht kämpfen; dazu gehören eine Noir-Gestalt à la Frank Miller, ein Cartoon-Schweinchen und ein unschuldiges Anime-Mädchen. Um alle diese Charakter in einen Film zu bringen, muss sich das Drehbuch ordentlich verrenken. Das ist schade, lohnt sich aber: Denn die selbstironischen Anspielungen machen echt Laune. Ausserdem wird der Film getragen von Miles Morales, einem sympathisch-rebellischen Teenager auf dem Weg zu sich selbst. Seine Beziehung zu Vater (Polizist) und Onkel (Schmalspurganove) werden liebevoll ausgearbeitet.

Dass man schon bei der Exposition erahnen kann, wohin die Reise geht, stört kaum; denn der Film ist bis zum Zerbersten vollgepackt mit Charakter. Das liegt vor allem am Stil. Die Animationen simulieren die Elemente von Oldschool-Comics auf geradezu spektakuläre Weise. Panels, Boxen, Sprechblasen, Linien, Punkte und SFX soweit das Auge reicht. Besonders augenfällig ist die Animation in den Action-Szenen. Ein wahrer Augenschmaus; schnell, wuchtig und cool. Dasselbe lässt sich auch über den Soundtrack sagen, der sich wie ein zeitgenössisches Hip-Hop-Mixtape anhört. Auch die Musik hilft dem Regisseur-Trio Bob Persichetti, Peter Ramsey und Rodney Rotham, eine ganz neue und eigenständige Spiderman-Figur zu zeichnen.

Der eigentliche Plot spielt sich ab wie eine ausgebreitete Version eines Sonntagmorgen-Zeichentrickfilms. Nicht viel Neues, aber solide. Stark ist das Drehbuch in der Abteilung Humor. Spider-Man: Into the Spider-Verse hat mir einen handfesten Lachanfall geschenkt – und das geschieht so gut wie nie. Grandios die Sequenz, in der Miles zu seinem Spiderman findet und sich durch die Stadt schwingt. Die Kombination von Musik, Emotion und Kamera ist befreiend. Eine beeindruckende Szene. Den Rest der Laufzeit habe ich vor allem damit verbracht, die tolle Animation zu bewundern. Das ist zwar nett, aber inhaltlich erfinden die drei Regisseure das Rad nicht neu. Die Botschaft, dass ganz gewöhnliche Menschen die Maske Spidermans tragen können, ist reichlich unoriginell. Wenn Miles an seinem angeblichen Schicksal gescheitert wäre, wäre das mal was anderes gewesen. So bleibt am Ende nur ein müdes, wenn auch befriedigtes Schulterzucken.

Spider-Man: Into the Spider-Verse ist tolle Unterhaltung, ein augenzwinkernder Meta-Film über den derzeitigen Comic-Wahn. Trotz Selbstironie: Auch dieser Spiderman ist Teil einer gut geölten Gelddruckerei, und dieses Kalkül merkt man dem Film halt stellenweise doch an.

7/10

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It Follows (2014)

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Die 19-jährige Jay (Maika Monroe) geht mit Hugh (Jake Weary) aus – einem jungen Mann, der ganz normal scheint. Nach mehreren Dates schlafen die beiden miteinander in einem Auto. Dann beginnt der Horror: Hugh betäubt und fesselt Jay. Er eröffnet ihr, dass ihm eine seltsame Gestalt folgt; zwar nur im Schritttempo, doch zielstrebig und klug. Nun aber folgt diese Gestalt Jay. Denn durch den Sex hat Hugh den Fluch auf sie übertragen. Hugh macht sich auf den Staub und lässt eine verängstigte Jay zurück. Sie sucht Rat bei ihrer Schwester Kelly (Lili Sepe) und ihren Freunden Yara (Olivia Luccard), Paul (Keir Gilchrist) und Greg (Daniel Zovatto). Zu Beginn will ihr niemand so recht glauben, doch bald schon wird klar, dass tatsächlich etwas sein Unwesen treibt. Etwas, das jede nur erdenkliche Menschengestalt annehmen kann. Und dieses Wesen scheint mehr als nur Blut zu wollen.

It Follows (2014) ist ein intelligenter Twist des Teenie-Slashers. Junge Erwachsene müssen vor einem mysteriösen Mörder fliehen, der übernatürlich und übermächtig ist. Anders als in diversen Slasher-Reihen, wo der Killer ein ikonischer und vermarktbarer Charakterkopf ist, ist dieses »Es« völlig entpersonalisiert. Es hat keine Identität, keine feste Form; es tritt den Opfern als Symbol des Schicksals entgegen, geduldig und unabwendbar. Die Parallele zu übertragbaren Geschlechtskrankheiten ist schnell geschlagen, greift aber zu kurz. Der Witz von It Follows ist gerade, dass die Opfer ihren drohenden Tod abstreifen können – auf Kosten eines anderen, der die Krankheit dann wiederum weitergeben muss. Regisseur David Robert Mitchell degtadiert den Sex hier zu einer emotionslosen Notwendigkeit. Echten Spass scheint niemand daran zu haben – und zwar schon bevor das Monster ins Spiel kommt. Der Sex ist nicht lustvoll, sondern eine Frage der Selbstverteidigung und – im Falle von Paul – Geltungssucht.

Sieht man vom moralischen und gesellschaftlichen Subtext ab, funktioniert It Follows auch ganz einfach als Horrorfilm. Das beginnt mit dem Prolog, der wunderbar verstörend daher kommt. Danach lässt sich Mitchell genug Zeit, die Hauptfiguren aufzubauen. Die Gespräche unter den fünf Freunden wirken authentisch und sympathisch. Maika Monroe ist eine fabelhafte Hauptdarstellerin, die den Spagat zwischen angstvoll und mutig, verführerisch und verführbar virtuos meistert. Auf billige Schock-Momente verzichtet Mitchell beinahe ganz. Das ist konsequent: Denn das Furchterregende an »It« ist nicht die ausufernde Gewalt – die wurde schon im Prolog hinreichend bewiesen –, sondern die Gewissheit, dass es immer wieder auftaucht und nie ganz verschwinden wird. Es ist die Drohung am Horizont, die Mitchell je nach Bedarf leise oder laut zu inszenieren versteht.

Die Kamera fängt nur einen einzigen Tod ein. Der hat dafür aber ordentlich Wumms. Mitchell versteht, dass das genügt, um ein Publikum die Bedrohung verstehbar zu machen. It Follows ist voller wohldosierter Furchtspritzen, die Dramaturgie ist exquisit. In den wiederkehrenden 360-Schwenks beweist Mitchell seine subtile Kunstfertigkeit. Die Audio-Glitches des fantastischen Elektro-Soundtracks von Richard »Disasterpeace« Vreeland sind das Sahnehäubchen. Nur das Finale fällt ab, da sich der Killer dort zu stark materialisiert. Die Opfer wehren sich, und dieser Widerstand ist fast zu einfach. Zudem hätte das Drehbuch wesentlich mehr aus den moralischen Fragen der Prämisse machen können. Zum Beispiel: Was ist davon zu halten, dass Jay und Paul ihren Fluch auf fremde Männer und Frauen übertragen? Da hätte man einige vielsagende Konflikte aufreissen können. Andererseits ist es durchaus wohltuend, dass Mitchell den Plot schlicht hält. Er stopft den Film nicht mit unnötigen Erklärungen und Symbolen voll, wie das in den heutigen Horrorfilmen immer häufiger zu geschehen scheint, um sich als Kunst zu rechtfertigen. (Hereditary, hust.)

Solche Spielereien hat It Follows nicht nötig: Mitchell hat den Mut, klar in den Grenzen des Genres zu bleiben. Keine falschen Versprechungen, kein Firlefanz. In dieser Hinsicht wirkt der Film beinahe retro. Wenn dies das neue Gesicht des Slasher-Flicks ist, dann bitte mehr davon!

8/10

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Star Wars: Episode III – Revenge of the Sith (2003)

»So this is how liberty dies; with thunderous applause.«

Der Krieg zwischen den Separatisten und der Republik tobt. Er droht, die Galaxis auseinander zu reissen. Nachdem die Jedi den Kanzler Palpatine (Ian McDiarmid) aus den Fängen des Separatisten-Generals Grievous gerettet haben, scheint der Frieden nah. Doch eine Verschwörung lässt die Jedi in Ungnade fallen. Die Demokratie, die bis anhin im Senat herrschte, verwandelt sich mit grossen Schritten in eine Diktatur. Und der junge Jedi Anakin Skywalker (Hayden Christensen) erliegt den Versuchungen der dunklen Seite der Macht, da er seine Ehefrau Padmé (Natalie Portman) vor dem Tod retten will. Ein schicksalshafter Kampf zwischen Anakin und seinem Mentor Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor) bahnt sich an.

Endlich: Mit Star Wars: Episode III – Revenge of the Sith (2003) liefert uns Regisseur George Lucas einen Grund, uns für die zweite Star-Wars-Trilogie zu interessieren. Nach den schnarchigen Episoden I und II kommt nun bedeutungsvolles Spektakel und spannendes Drama auf uns zu. Die Verlockungen der dunklen Kräfte des Sith Lords Palpatine werden wunderbar brodelnd in Szene gesetzt, der Werdegang des Anakin Skywalkers ist so nachvollziehbar wie tragisch. Christensens Schauspiel in diesem Film ist wesentlich dynamischer als noch in Episode II, aber so recht warm kann ich mit seiner Performance trotzdem nicht werden. Zu sehr verweilt Christensen auf dem Niveau eines trotzigen Teenagers.

Lucas schlägt in Episode III einen grimmigen, düsteren Ton an. Revenge of the Sith ist ohne Zweifel der hoffnungsloseste aller Star-Wars-Teile. Da werden noble Helden, Frauen und Kinder am Laufmeter gekillt. Während man bei Lord of the Rings das Drama an Gandalfs Augen ablesen konnte, ist es hier Yodas Blick, der die Schwere der Ereignisse deutlich macht: Er muss dem Untergang der Jedi-Ritter ins Auge blicken und seine eigene Schwäche selbst durchleben. Ian McDiarmid als Palpatine ist – einmal mehr – ikonisch. Spätestens nach diesem Auftritt gehört Palpatine in den Pantheon der Film-Bösewichte.

Gegen Ende kann der Zuschauer gleich zwei epische Kämpfe geniessen, die beide emotional hoch aufgeladen sind: Anakin Skywalker gegen Obi-Wan Kenobi und Yoda gegen Palpatine. Beide Laserschwert-Duelle sind echte Hingucker. Und im Gegensatz zu den beiden Vorgängerfilmen sind diese Kämpfe mit ordentlich Plot unterfüttert! Einige seltsame Logiklöcher – etwa: Wieso war man nicht schon viel früher skeptisch gegenüber der Klon-Armee? – übergehen wir jetzt mal grosszügig, zu unterhaltsam ist das Gezeigte. Weniger verzeihlich ist allerdings das unglaublich käsige »Noooo!«, das Anakin am Ende in Gestalt von Darth Vader vom Stapel lässt. Obwohl man einräumen muss, dass die tragische Ironie fast schon an Genialität grenzt: Es ist gerade Anakins Hinwendung zum Bösen, die Padmé sterben lässt. Sein Handeln führt also zu dem, was er verhindern wollte. Heftig, heftig. Nur: Ein Schelm, der sich fragt, weshalb Anakin nach all dem Bullsh*t trotzdem Palpatine die Treue schwört. Hier setzt der Plot etwas zu stark auf die magische Überredungskunst der Sith.

Auch filmisch hat Lucas endlich mal ein paar interessante Einfälle. Die Schnitte zwischen Padmé in den Wehen und Anakin auf dem Operationstisch schaffen einen – wortwörtlich – bedeutungsschwangeren Kontrast. Dass Palpatine in seinem Kampf gegen Joda mit den Sitzen der Senats um sich wirft, hat eine durchaus witzige Symbolik. Ja, Lucas klotzt hier, was das Zeug hält, aber die Geschichte gibt ihm dieses eine Mal Recht. Das ist Blockbuster-Unterhaltung vom Feinsten, mit einer Prise politischem Kommentar. Wenn Padmé sagt »So this is how liberty dies; with thunderous applause«, so bleibt einem angesichts der echten Diktaturen dieser Welt ein kleiner Kloss im Halse stecken. Die giftigen Reden Palpatines kommen nicht von ungefähr.

Ja, Episode III ist eine positive Überraschung. Ein gelungener Abschluss der Star-Wars-Saga. Oh, Moment. Jemand flüstert mir ins Ohr, dass Disney die Star-Wars-Geschichte weitergeschrieben hat. Hmmmm. I have a bad feeling about this.

7/10

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Star Wars: Episode II – Attack of the Clones (2002)

Der Fluch des zweiten Teiles

Die Senatorin Padmé Amidala (Natalie Portman) reist zum Planeten Coruscant, um dem Senat einen Vorschlag zu unterbreiten: Eine neu geschaffene Armee soll den Jedi-Rittern unter die Arme greifen, um den Frieden in der Galaxie zu wahren. Doch kaum ist Padmé angekommen, muss sie um ihr Leben fürchten. Denn ein Kopfgeldjäger hat es auf sie abgesehen. Der junge Jedi Anakin Skywalker (Hayden Christensen) setzt alles daran, die Senatorin zu schützen. Anakin tut dies nicht nur aus Pflicht den Jedi gegenüber, sondern vor allem aus Liebe. Doch seine Gefühle machen die Konstellation komplizierter, als sie ohnehin schon ist.

Star Wars: Episode II – Attack of the Clones (2002) ist zwar wesentlich gehaltreicher als die inhaltsleere Episode I, doch als Film leider nur marginal besser. Lucas’ Drehbuch kreist sich um die Liebesgeschichte zwischen Padmé und Anakin, die reichlich gestelzt daher kommt. Die Dialoge sind verkünstelt und klischiert. Hayden Christensens Performance kommt seltsam arrogant und besitzergreifend rüber. Schwer nachvollziehbar, weshalb Natalie Portman diesen Schnösel dermassen anhimmelt – obwohl sie ihre Gefühle schauspielerisch wunderbar rüberbringt, wirkt das Ganze erzwungen. Christensen scheint bereits Darth Vader vorwegnehmen zu wollen. Das ist verfrüht und macht die Romanze unbeholfen, zumal Lucas sie in quietschbunten, geschmacklosen Farben kleidet.

Die Romanze ist zum Vergessen, und auch der Rest bleibt nur vage in Erinnerung. Episode II leidet unter dem Fluch des zweiten Teiles, der auf das grosse Finale hinarbeitet, aber selbst nicht viel Neues und Originelles zu bieten hat. Highlight ist Christopher Lee als Graf Dooku, sicherlich kein zufälliger Graf-Dracula-Verschnitt. Keiner spielt Bösewichte so cool wie Lee. Die Auftritte von Yoda (Stimme: Frank Oz) sind ebenfalls denkwürdig; vor allem das Duell zwischen ihm und Dooku haut ordentlich rein. Die Tragödie um Anakins Mutter ist ein wichtiger Baustein in dessen Charakterentwicklung, obschon man sich schon hier fragen muss, weshalb Padmé so sehr an Anakin festhält. Ausserdem wird im Film nie so richtig deutlich gemacht, weshalb die beiden ihre Liebe geheim halten müssen. Wirkliche Konsequenzen hat sie nie, auch in Episode III nicht.

Die Action ist solide, aber ihr fehlt die dramaturgische Unterfütterung. Sie ist da, um das Publikum bei Stange zu halten – und das ist jeder Einstellung schmerzlich anzusehen. Die ganze Geschichte um die Klonkrieger zieht sich elendiglich dahin, auch wenn ständig etwas los ist. Es fühlt sich leer und hohl an. Echter Humor findet sich nur in jener Szene, in der C3POs Kopf plötzlich auf einem Kampf-Droiden landet.

Was bleibt, ist eine wacklige Brücke zur herausragenden Episode III. Da fragt man sich, weshalb des diese Brücke überhaupt brauchte, wo doch schon Episode I so unnötig war wie sonstwas.

4/10

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Star Wars: Episode I – The Phantom Menace (1999)

Eine Geschichte, die wir schon kennen, langweilig erzählt

Der friedliche Planet Naboo steht vor einer Krise. Die raffgierige »Trade Federation« will das Reich der Königin Amidala (Natalie Portman) unterwerfen. Die beiden Jedi-Ritter Qui-Gon Jinn (Liam Neeson) und dessen Lehrling Obi-Wan Kenobi (Ewan McGregor) retten Amidala. Die Königin will die Trade Federation vor der Galaktischen Republik auf dem Planeten Coruscant anklagen. Leider geht das nicht so schnell, denn ihr Raumschiff muss auf dem Planeten Tatooine notlanden. Dort trifft die Eskorte von Amidala auf den kleinen Buben Anakin Skywalker (Jake Lloyd), der bereits in jungen Jahren mit starken Jedi-Kräften gesegnet scheint. Qui-Gon beschliesst, Anakin unter seine Fittiche zu nehmen. Unterdessen spinnt sich um Amidala eine hinterhältige politische Intrige.

Mit Star Wars: Episode I – The Phantom Menace (1999) beginnt Regisseur George Lucas die gänzlich überflüssige Vorgeschichte zur ursprünglichen Star-Wars-Trilogie. Überflüssig ist sie, weil die uns Ereignisse erzählt, über die der aufmerksame Kinogänger schon vorher grob Bescheid wusste. Lucas erklärt hier Begebenheiten, die nicht erklärt werden mussten. Die grösste Schwäche des Filmes liegt in den Charakteren: Sie sind langweilig. Qui-Gon Jinn als weiser Lehrmeister ist sympathisch, aber wenig spannend. Obi-Wan hat keine herausragenden Merkmale und ist nur deshalb interessant, weil er später wiederum zum Lehrmeister Luke Skywalkers wird. Es ist, als würde sich jeder Auftritt parasitär von der Original-Trilogie ernähren. Das gilt vor allem für Anakin Skywalker, der absolut eigenschaftslos und öde ist. Gebetsmühlenartig behauptet der Plot, dass Anakin ach-so-speziell sei, aber den Beweis dafür liefert Anakin nicht – sehen wir mal von seinen völlig überzogenen Flugkünsten ab, die Lucas genüsslich in einem Special-Effect-Feuerwerk ausschlachtet.

Es ist mittlerweile ein Klischee, sich über Jar Jar Binks (Ahmed Best) zu echauffieren, aber es geht nicht anders: Dieser CGI-Tollpatsch gehört zu den nervigsten Charakteren der Filmgeschichte. Völlig unverständlich, warum Lucas diesem Binks so viel Screentime gönnt. Mit dieser Zeit hätte man Sinnvolleres anstellen können, zumal sich der Humor mit Binks selten über die Fäkal-Ebene erhebt. Immerhin die politischen Intrigen in The Phantom Menace halten einigermassen bei Stange. Der Rest ist nicht der Rede wert, die Dramaturgie bemüht. Weil es mit der Enthüllung von Darth Vader so gut funktioniert hat, treibt Lucas das Spiel mit verschleierten Identitäten auf die Spitze. Gleich zwei Figuren sind nicht, wer sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Dumm nur, dass man ihre wahre Identität bereits beim zweiten Blick durchschaut. Da bemüht man allzu offensichtlich eine altbewährte Formel. Das gilt auch für den finalen Kampf, der von den Schauwerten her zwar ordentlich reinhaut, aber alles andere als überraschend ist. Die Spezialeffekte sind solide, aber schlecht gealtert. Die praktischen Effekte der Originale vermisst man hier schmerzlich.

Ansonsten will ich nicht zu viele Zeichen an dieses schnöde Prequel verschwenden. Einen verschlafenen Sonntagnachmittag kann man mit The Phantom Menace gefahrlos verbringen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass das Teil schlicht unnötig ist.

3/10

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Portrait de la jeune fille en feu (2019)

Die Erotik des Blickes

Frankreich, 18. Jahrhundert. Die junge Malerin Marianne (Noémie Merlant) erhält einen kuriosen Auftrag: Sie soll die gut betuchte Héloïse (Adèle Haenel) portraitieren, die vor kurzem das Kloster verlassen hat und nun gegen ihren Willen verheiratet wird. Die Krux: Da sich Héloïse weigert, Modell zu sitzen, muss Marianne ihr Portrait im Geheimen anfertigen. Tagsüber geht sie mit Héloïse spazieren und beobachtet sie heimlich, nachts schwingt sie den Pinsel. Auf der abgeschiedenen Insel kommen sich die beiden Frauen immer näher, befreunden sich erst, bis sich eine zaghafte Liebesgeschichte entwickelt, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.

Portrait de la jeune fille en feu (2019) erzählt die zarte Liebesgeschichte zweier Frauen, die für ein paar Tage zueinander finden und dann für immer getrennt werden. Die Prämisse, die uns Drehbuchautorin und Regisseurin Céline Sciamma vorsetzt, ist klug: Es geht um eine Malerin und ihr Modell, wobei zunächst nur die Künstlerin um diese Konstellation weiss. Hinzu kommt, dass die Malerin Marianne mit ihrem Portrait dabei hilft, die freiheitsliebende Héloïse unter die Haube zu bringen. Erst, nachdem sich dieser Wissensvorsprung auflöst und Héloïse aus freien Stücken Modell sitzt, kann Marianne ein echtes Kunstwerk schaffen. Die gesellschaftlichen Zwänge jedoch bleiben. Nur innerhalb des ihnen aufgezwungenen Rahmens ist es den beiden Liebenden möglich, sich auszuleben – temporär, unverbindlich, flüchtig.

Die Endlichkeit dieser Liebe ist im ganzen Film spürbar; er ist – gerade zu Beginn – fast quälend langsam, scheint jeden Funken zwischen Marianne und Héloïse bis zum Letzten ausschöpfen zu wollen. In einer der stärksten Szenen, in denen die beiden Liebenden gemeinsam mit dem Hausmädchen Sophie über die Orpheus-Sage diskutieren, bringt Sciamma das Widerspiel zwischen Kunst und Liebe wunderbar auf den Punkt: In dem Moment, in dem sich Orpheus zu Eurydike umdreht und sie so in die Unterwelt verbannt, ist er kein Liebender, sondern ein Künstler, der das Bild seiner Geliebten für die Ewigkeit bannen will; auch wenn er sie dadurch für immer verliebt. In diesem Film ist die Künstlerin nun aber eine Frau. Indem sie Héloïse ästhetisch festhält, liefert sie sie dem Mann aus – aber den Frauen bleibt der ästhetische Triumph, der in der Geschichte allzu oft ebenfalls dem Mann vorenthalten war.

Portrait de la jeune fille en feu ist eine reichhaltige Reflexion über die Kunst, aber auch über den Feminismus. Die drei Frauen – Künstlerin, Reiche und Dienstmädchen – zetteln keine Revolution an, sie bleiben in den patriarchalen Verhältnissen gefangen. Sie nutzen die Kunst, um mit der Realität zu spielen, sie zu ironisieren und analysieren. Das zeigt sich etwa in der Szene, in der Sophie ein Kind abtreiben lässt. Héloïse verlangt von der Malerin Marianne, gefälligst hinzuschauen. Und später, in einem der seltsamsten Momente des Filmes, zeichnet Marianne diesen Moment; den Abschied der Mutter von ihrem ungeborenen Kind. Das Abbild als trotziges, verstörend neutrales »So ist es!«. Das ist in vielerlei Hinsicht eine effektivere Anklage als der empörte Aufschrei.

Neben all diesen intellektuellen Themen erzählt Céline Sciamma aber auch eine Liebesgeschichte, die zu berühren vermag. Marianne und Héloïse sind beide verkrampft und ernst, erwärmen sich aber rasch füreinander. Als neutrale Beobachterin ist Marianne zunächst der klassisch männlichen Objektivität verpflichtet, die strenge und eigensinnige Héloïse zwingt sie jedoch dazu, Stellung zu nehmen. Héloïse mit ihrem undurchdringlichen Gesicht verlangt geradezu, gemalt zu werden – und zwar hingebungsvoll, nicht kühl distanziert. Adèle Haenel als Héloïse brilliert als ehemalige Nonne, deren Willens- und Lebenskraft schon in der Jugend gebrochen wird. Eine berührende Leistung. Sciamma zelebriert vor den Augen des Publikums der Erotik des Blickes. Jeder Augenkontakt wird ins Unendliche vergrössert, wirkt unglaublich bedeutungsvoll und tief. Manchmal bemüht sich Sciamma etwas zu sehr, kunstvoll zu wirken. Etwa dann, wenn sie ganz offensichtlich Ingmar Bergman (Persona) zitiert, oder Héloïse im Hochzeitskleid als Gespenst auftreten lässt. Viel zu platt und dieser subtilen Geschichte unwürdig!

Der Film kommt über weiten Strecken ohne Soundtrack aus. Die beiden Stellen, in denen Musik zu hören ist, sind dafür umso intensiver. Portrait de la jeune fille en feu ist ein bemerkenswertes Werk: zeitweise sperrig und langatmig, aber klug, subversiv und sinnlich. Eine unaufgeregte Feier der Erotik mit weiblichem Fluchtpunkt.

8/10

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Joker (2019)

Wenn Thomas Wayne zu Donald Trump wird

Der Clown Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) führt ein tristes Leben. Psychisch angeschlagen und oft sozial unbeholfen, findet er keinen echten Draht zu seinen Mitmenschen in Gotham City. Arthur träumt davon, Komiker zu werden. Jeden Abend schaut er sich sein Idol, den Talkmaster Murray Franklin (Robert De Niro), im Fernsehen an. Neben seinem frustrierenden Job kümmert er sich um seine verwirrte Mutter Penny (Frances Conroy) und verliebt sich in die allein erziehende Mutter Sophie Dumond (Zazie Beetz). Als Arthur eines Nachts in der U-Bahn von schnöseligen Geschäftsmännern angepöbelt und bedroht wird, reisst ihm der Geduldsfaden. Er wehrt sich. Und er hat es satt, ausgelacht zu werden. So beginnt seine Verwandlung in die anarchistische und unberechenbare Gestalt des Jokers – angetrieben vom Willen, endlich die Wahrheit über seine Herkunft aufzudecken.

Dass der Joker nach der ikonischen Performance von Heath Ledger in The Dark Knight (2008), früher oder später eine Origin Story spendiert bekommt, war so sicher wie das Amen in der Kirche. Überraschender ist, dass das Resultat zu überzeugen vermag. Joker (2019) ist eine konsequente und düstere Charakterstudie, die dem Zuschauer wenig Raum für Zuversicht lässt und gegen Ende jeglichen Keim der Hoffnung erstickt. Herzstück des Filmes ist die Performance von Joaquin Phoenix, der Arthur Fleck glaubwürdig zwischen Erbärmlichkeit, Peinlichkeit, Genialität und Wahnsinn schwanken lässt.

Regisseur Todd Phillips (The Hangover, War Dogs) lässt seinen Film auf geradezu solipsistische Weise um seine Hauptfigur kreisen: Die Szenen ohne Arthur lassen sich an einer Hand abzählen. Das ist Stärke und Schwäche zugleich. Stärke, weil es das Erlebnis intensiver macht. Als Zuschauer sind wir gezwungen, den Ängsten und Torturen Arthurs beizuwohnen, uns mit ihm zu identifizieren. Schwäche ist es, weil sich die Charakterstudie über weite Strecken wie eine stereotype Kausalitätskette ausnimmt, an deren Ende (»Ta-daaa!«) die Personifizierung des Chaos steht, die bis anhin weder erklärt war noch eine Erklärung brauchte. Phillips setzt alles daran, Arthur zu demütigen, als Aussenseiter zu brandmarken und den Hass in ihm keimen zu lassen. Wie durchschaubar das ist, zeigt sich etwa an der Tatsache, dass Arthur gleich zwei Mal – fast grundlos – von einer Gruppe junger Männer zusammengeschlagen wird.

Der Plot ist eine Maschine, die nur einen Zweck hat: aus Arthur den Joker zu machen. Immerhin arbeitet diese Maschine mit bemerkenswerter Effizienz. Sie funktioniert, raubt Arthur aber jegliche Entscheidungsfreiheit. Sein Schicksal tritt uns als vorbestimmt entgegen, als hätte er – gebeutelt von gesellschaftlichen Umständen und psychischen Macken – niemals gegen den Joker in ihm ankämpfen können. Das hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, so einnehmend die Transformation vom unscheinbaren Schwächling zum schillernden Anarchisten auf der Leinwand auch aussieht. Hinzu kommt, dass die Darstellung der psychischen Krankheit einerseits unrealistisch [1], andererseits künstlerisch unbefriedigend ist. Philips folgt dem Einmaleins der Kindheits-Traumata. Der erzwungen dissonante Soundtrack macht den Charakter auch nicht tiefgründiger.

Und doch: Die emotionale Durchschlagkraft von Joker lässt sich mit bestem Willen nicht bestreiten. Phoenix ist hypnotisierend, faszinierend. Er beschwört mit Gestik und Mimik einen übermenschlichen Bösewicht, den man hassen sollte, aber nicht hassen kann. Die Dialektik zwischen Stärke und Schwäche mag unlogisch scheinen, wurde aber selten so gekonnt plausibilisiert wie in diesem Film. Obwohl Joker seine Fühler in die echte Welt ausstreckt, dürfen wir bei aller berechtigten Kritik nicht vergessen, dass wir uns noch immer im Territorium der Comic-Verfilmung befinden.

Gerade an der Schnittstelle zwischen Fantasie und der politischen Realität der Ära Trump tun sich die interessantesten Fragen auf. Denn: Wenn der Joker sagt, er sei nicht politisch, scheint Regisseur Phillips sich entschuldigend an das Publikum zu wenden; »Leute, das ist nur Unterhaltung!«. Aber kann der arrogante und reiche Thomas Wayne, Batmans Vater, anders interpretiert werden als Spiegelung des Präsidenten Donald Trumps mit einer ordentlichen Prise überheblicher Hillary Clinton? Der Film spielt zumindest mit dem Gedanken, die Fronten zwischen Bösewicht und Superheld neu zu ziehen. Der Joker ist ein kaputter Mensch, der durch puren Zufall – und der unfreiwilligen Hilfe des Fernsehens – eine Revolution anzettelt, die man nicht pauschal unmoralisch nennen kann.

Joker ist ein grimmiger Film über einen Einsamen, der krankhaft über alles lacht – obwohl es nichts zu lachen gibt. Damit ist er in den USA zurzeit sicher nicht allein. Der Streifen ist nicht so komplex, wie er gerne wäre – und wesentlich politischer, als er zuzugeben bereit ist. Psychologisch banal, soziologisch spannend. Kein Fehler, sich das Teil im Kino zu geben.

7/10

[1] Driscoll, Annabel/Husain, Mina (2019): »Why Joker’s depiction of mental illness is dangerously misinformed«. Online unter: The Guardian.

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Star Wars: Episode VI – Return of the Jedi (1983)

Der mit Abstand beste Teil der Original-Trilogie

Einmal mehr in einer Galaxie, weit, weit entfernt … Luke Skywalker (Mark Hamill) befreit seinen Kumpanen Han Solo (Harrison Ford) aus den Fängen des raffgierigen und grausamen Schneckenmonsters Jabba the Hutt. Danach müssen sich die Rebellen neu gruppieren, denn auf sie wartet der ultimative Showdown. Die dunkle Seite der Macht muss zerstört werden. Doch kann Luke seinen eigenen Vater Darth Vader (James Earl Jones/David Prowse) töten? Kann er der Versuchung des mächtigen Emperor (Ian McDiarmid) widerstehen?

Okay, okay, okay. Nachdem ich mir nun doch endlich Episode 6 der Star-Wars-Saga gegeben habe, muss selbst ich als ewiger Hollywood-Muffel zugeben: Das Ding ist super. Return of the Jedi (1983) von Richard Marquand liefert genau das, was ich bis anhin schmerzlich vermisst hatte: Charisma. Die Episoden 4 und 5 kulminieren in ein Action-geladenes, unterhaltsames und durchaus anspruchsvolles Finale. Positiv fällt besonders der Wille auf, die unterschiedlichen Schauplätze mit Leben und Atmosphäre zu füllen. Jabba the Hutts Freakshow mitsamt seltsamer Tanzeinlage ist wirklich kultig und witzig! A propos: Auch der Humor wirkt in diesem Teil ausgereifter und nicht ganz so kindlich.

Die Puppen der unterschiedlichen Völker sind liebevoll gemacht und regen die Phantasie an. Der Abschied vom Lehrmaster Yoda (Frank Oz) ist ausserordentlich berührend – grandiose Puppenarbeit! Die bärig-fluffigen Ewoks mag man als offensichtlichen Versuch enttarnen, Plüschtiere an das Kind zu bringen; mir gefallen sie, da ihre Kultur mit grossem Detailreichtum eingeführt wird. Die Szene, in der C-3PO die ganze Geschichte Lukes nacherzählt, ist dramaturgisch absolut unnötig, und doch der Höhepunkt des Filmes. Marquard nimmt sich hier die Zeit, kleine Porträts einzelner Ewoks zu gestalten. Das hilft bei der Identifikation mit diesen Kreaturen immens. Und wenn dann später eines der Wesen stirbt, lässt der Schnitt auch genug Zeit für Trauer.

Die Action ist flott inszeniert. Spassig die Verfolgungsjagd im Wald, episch der Kampf im Weltraum. Getragen wird das Spektakel von einem emotionalen Dilemma: Glaubt Luke zurecht, dass in seinem Vater noch ein Kern des Guten steckt? Oder hat das Dunkle den Anakin Skywalker von einst längst verschluckt? Verkörperung der Versuchung ist der Emperor, mit theatralischer Schwere gespielt von Ian McDiarmid. Er kommt daher wie ein verschlagener, verkrüppelter Giftmischer, der Lukes Geist im wahrsten Sinne des Wortes zu vergiften versucht. Die Szenen in der Kabine des Emperor sind nicht nur schauspielerisch, sondern auch filmisch bemerkenswert: glatt, kühl, perfekt komponiert. Wenn die bleichen Hände aus dem schwarzen Umhang des Emperor lugen, ist das echt gruselig. Marquand bringt hier Bilder auf die Leinwand, die das Prädikat »ikonisch« verdienen.

Das Duell zwischen Luke und Vader kommt schlicht, aber mit der nötigen Gewichtung daher. Ein Finale, das die Augen am Bildschirm kleben lässt. Sahnehäubchen ist die sympathische Schlusssequenz, bei der man sich auf leichtfüssige Art von den Charakteren verabschieden kann. Für mich ist Return of the Jedi das Königsargument, »Star Wars« in den Kanon der Filmgeschichte einzuordnen. Unabhängig von der bestechenden Technik bietet dieser Streifen reichhaltige, kluge Unterhaltung, die bis heute nachhallt.

9/10

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